Die Jungs von Eisbrecher haben die Corona Zeit genutzt, um im Studio fleißig zwei neue Platten aufzunehmen. Die eine, „Schicksalsmelodien“, erscheint heute, den 23. Oktober 2020. Die zweite, das 8. Studioalbum, wird im März 2021 erscheinen, aber die Fans können sich darauf freuen, denn, am 4. Advent, gibt es schon die 1. Single aus dem neuen Album
Wir wollten etwas mehr über „Schicksalsmelodien“ erfahren und haben uns mit Alexander Wesselsky darüber unterhalten.
2020 ist ein besonderes Jahr. Stellt „Schicksalsmelodien“ eine Herausforderung oder eine Errungenschaft dar?
Eine Errungenschaft ist es nicht. Errungenschaften sind besondere Ereignisse wie Entdeckungen oder Erfindungen. Es ist, immer noch, eine Herausforderung (nicht im Sinne von Vermarktung allerdings), da wir ja, innerhalb von 2 Monaten, eine Platte gemacht haben. Die „normale“ Zeiten sind 2-3 Jahre, und nicht so kurze Zeitspannen. Auch wenn wir keine eigenen Texte schreiben mussten, haben wir musikalisch viel gemacht. Es war eine Herausforderung aus verschiedenen Gründen: (a) wir mussten die richtigen Songs aussuchen; (b) wir mussten evaluieren, ob es machbar sei und (c) den Grund des Projektes klar rüberbringen. Letztendlich haben wir die Herausforderung gemeistert und das Album war in knappen 2 Monaten fertig. Wir finden es schön. Den Rest mögen die geneigten Hörer entscheiden.
Die Idee zum Album kam mit der Anfrage von Powerwolf „Stoßgebet“ neu aufzulegen. Wie habt ihr dann die restlichen Lieder ausgesucht?
Herausforderungen fangen, meistens, mit einer Idee an. Kennst du das, wenn man eine Frage in den Raum wirft und eine assoziative Antwort erwartet? Das war unser erster Schritt: zu entscheiden was man, eigentlich, machen will. Der zweite Schritt war dann zu verstehen, ob es machbar sei (Singen/umsetzten) und, zuletzt, entscheiden, ob man den Song machen wollte oder nicht. Wir musste verstehen ob sich die Songs dazu eigneten: Wenn ein Song überlebensgroß ist und man ihn nur schlechter machen kann, dann funktioniert es eben nicht. Von Songs wie „Highway to Hell“, „Der Kommissar“, „Da da da“ lässt man lieber die Finger. Nachdem wir die Auswahl der Künstler getroffen hatten, mussten wir uns einigen, ob wir nur Nr.1 Songs covern wollten oder auch andere, die aber, auf der einen oder anderen Weise, für uns interessant waren. Das ging, um ehrlich zu sein ganz schnell; wir mussten sogar, ganz schnell die Auswahl reduzieren, weil wir auf viele Songs kamen. Bei „All we are“ habe ich schon genug zu tun gehabt, weil es einen großen Unterschied zwischen Englisch verstehen und Englisch singen gibt. Ich empfand das als eine persönliche Challenge. Es hat mir, zudem, klar gemacht, warum Eisbrecher auf Deutsch singt. Es gibt nichts ungeileres als sich selbst bei nicht-perfekter ausgesprochener Sprache zuzuhören (lacht). Wir haben uns Songs ausgesucht, an denen wir arbeiten konnten und die auch zu uns passten, auch weil sie unsere Gedankenwelt widerspiegelten, und uns erlaubten eine Brücke zwischen dem Gestern und dem Morgen zu bauen. Wer weiß, vielleicht wird es auch mal Schicksalsmelodien 2 geben. Wenn es jedenfalls so weiter geht und man längere Zeit wieder nicht auf Tour gehen kann, ist es wahrscheinlich, dass es noch so ein ähnliches Projekt gibt.
Wie haben die Künstler diese Versionen empfunden? Hattet ihr schon Feedback?
Doro Pesch hat uns ein Feedback geschickt, in dem sie meinte, dass die Nummer megageil gewesen sei, was mich besonders freut. Auch Powerwolf war sehr zufrieden. Jemand hat sich, nachdem er die Facebook-Kommentare gelesen hat, eher bedeckt gehalten. Seit den 80ern hat sich nicht viel an Verbotskultur geändert… vielleicht nur die Art, da nun viel mehr Leute auf den sozialen Medien, „Meinungsfreiheit“ haben.
Covern ist, für euch nichts neues, weil ihr schon einige Coverversionen gemacht hat. Was macht Covern interessant und welche Gefahren verbirgt es?
Covern ist keine Neuheit. „Personal Jesus“ gecovert von Marilyn Manson ist genial. Die Gefahr ist, dass man albern wird und es lächerlich klingt. Uns geht es ja nicht drum einen Song zu „verballhornen“, sondern eher den Songs neues Leben einhauchen, idem wir uns demütig vor gewissen Songs verbeugen. Wir haben versucht, den Songs einen gewissen „Eisbrecher- Anstrich“ zu verpassen, damit es absolut in die jetzige Zeit passt. Und wer den Song nicht kennt, soll uns wiedererkennen. Wir würden uns freuen wenn wir ein breiteres Publikum ansprechen könnten: Die Jüngeren, die einfach die Songs geil finden, und die ältere Generation, die die Songs in der Originalversion kennt und der die neue Version auch genehm ist. Wenn es als Kunst wahrgenommen wird, ist es Maximum, dass man erreichen kann.
Welche Elemente wolltet ihr beibehalten und wie habt ihr diese „vereisbrechtert“?
„Vereisbrechert“ haben wir, vor allem, die Wucht, den Sound. Wenn man die Originalversion von „Anna, lass mich rein lass mich raus“ laut hört und gleich danach unsere Version einlegt, muss man die Laustärke runterdrehen (wenn man nicht will, dass sie Nachbarn sauer werden). Es geht nicht so sehr um Lautheit, sondern eher um Fettheit: so klingt es einfach heute. Das ist der Bass, das ist die Wucht, das sind die Sounds, die man heute zur Verfügung hat, wenn man mit Elektro-Industrial-Gitarren arbeitet. Wenn man dies gezielt einsetzt, kommt eine ziemliche Macht und eine bunte laute Kiste dabei raus. Da wir ja, zudem, eine Rockband sind, bekommt das ganze auch einen Düsterkontext. Ich wage zu behaupten das „Disko in Moskau“ von den Toten Hosen (für uns ein wichtiger Song) und erlaubt einen Gruß nach Russland schicken, mit der Hoffnung dort bald wieder für unsere Fans auftreten zu dürfen. Was bei den Originalversionen, zu deren Zeit, eine Faust war, ist heutzutage, nur ein kleiner Finger, besonders weil es heute andere Möglichkeiten gibt. Und genau diese Möglichkeiten wollten wir zeigen: Alles was die Produktionskunst 2020 erlaubt, haben wir reingeworfen. So darf es in der Welt von Eisbrecher klingen. Aus dem kleinen Finger ist wieder eine große Faust geworden. Das war unser Plan, und er ist aufgegangen.
Gab es eine Version die mehr Zeit in Anspruch genommen hat?
Zum einem war „All we are“ mein persönlicher Gang nach Canossa, weil ich mich mehrmals fragte, was eigentlich mit meinem Englisch los sei. Um ehrlich zu sein, hat nichts wirklich lang gedauert, obwohl wir parallel auch am 8. Studioalbum (das, erstmals, KEINEN Coversong enthält) gearbeitet haben. Vielleicht die ersten beiden Lieder an denen wir gearbeitet haben „Skandal im Sperrbezirk“ und „Anna, lass mich ein, lass mich raus“. Danach ging alles schnell, da ja die Platte in knappen 2 Monaten aufgenommen wurde. Für mich doppelte und dreifache Geschwindigkeit. Wenn es schnell geht, dann passt es ja einfach. Es gab euch keinen Song der mehr als andere Spaß gemacht hätte, auch weil wir alle Songs bewusst ausgesucht haben.
Welchen roten Faden hat das Album?
Es handelt sich um Songs, die Noel Pix und ich gut finden. Obwohl Noel und ich unterschiedliche Typen sind, waren wir uns bei manchen Dingen ziemlich schnell einig. Bei einigen Songs hat es länger gedauert und manche Songs mussten wir ausschließen. Es war eine demokratische Entscheidung, so wie es sie in jeder „Beziehung“ gibt.
Die Liste enthält Lieder aus der Vergangenheit und Gegenwart: Wie wird Kontinuität gewährt?
Es ist alles aus einer Zeit der sogenannten musikalischen Sozialisierung. Es begann in den 80ern, als wir beide um die 10 Jahre alt waren und unsere erste musikalische Liebe entdeckten. Meine erste musikalische Liebe war Heavy Metal und beim Noel Rock. So haben wir den Streifzug durch die 80er, die 90er und die 00er Jahre gemacht, um uns nicht in eine fixe Zeit festzulegen, sondern auch unseren musikalischen Werdegang zu begleiten. Unser Weg war kein leichter, er war steinig und schwer, aber er hat uns immer mehr nach oben gebracht. Diese Songs sind unsere Wegmarker, die alles beinhalten: den kalten Krieg, die Reduktion des Minimalismus, den immerwährenden Wahnsinn, die Attitüde, den Patriotismus, den Skandal, das Orakel. Es sind Songs die wichtige Themenkomplexe abbilden vom kalten Krieg zur Spießigkeit der Gesellschaft, über das Marode und das Klischee. Darüber machen wir uns mit Eisbrecher auch noch heute Gedanken (was beim 8. Album auch zu hören sein wird).
Könntet ihr euch eine Version zusammen mit den noch lebenden Original-Künstler vorstellen?
Natürlich. Wenn wir mehr Zeit gehabt hätten, hätten wir den einen oder anderen gefragt, ob wir was zusammen aufnehmen. Natürlich würde das noch weitere musikalische Arbeit bringen, da man dann die Tonlagen anpassen muss und weitere musikalische Kompromisse eingehen. Es muss zusammenpassen. Die Frage ist dann, ob wir dann so unsere Vision erreicht hätten. Aber ich kann mir schon vorstellen, dass wir mit dem einen oder anderen Künstlern, wenn das Touren wieder erlaubt ist, den Song zusammen performen. Wer mich kennt, weiß dass ich keine Scheu habe etwas zusammen mit anderen Musikern zu machen. Kooperationen gab es mit Peter Maffay, Santiano, Hämatom und Lord of the Lost. Da sage ich nicht partout nein, auch weil es sehr interessante Künstler sind.
Mal andersrum: Welche eurer Lieder würdet ihr gerne gecovert hören und von wem?
Ich habe eigentlich nie darüber nachgedacht, aber es wäre schon interessant. Das ist eine Herausforderung, die ich gerne zum Nachdenken annehme. Ich hätte mir eine Kraftwerk-Version von „This is Deutsch“ gewünscht, aber leider ist dies nicht mehr möglich. Es wäre, allerdings, schon toll, wenn, z.B. Rammstein eins unserer Lieder covern würde und in ihr Bühnenprogramm aufnimmt. Sag niemals nie. Etappe 3, wer weiß.